Vorwort des Autors

Die römischen Geschichtsschreiber vor rund zweitausend Jahren machten es sich einfach. Sie warfen alle Stämme rechts des Rheins in einen Topf und nannten sie Germanen. Das Gebiet links des Rheins ordneten sie pauschal den Galliern zu. Dieses stark vereinfachte Bild entsprach jedoch nicht der Wirklichkeit. Sicher stellt ein großer Fluss eine natürliche Grenze dar, er wurde zu allen Zeiten aber zugleich aber auch immer als Verkehrsweg genutzt, der häufig sicher mehr verband, als dass er trennte.

Heute weiß man, dass es germanische Stämme links des Rheins ebenso gab wie gallische oder – wie man heute sagen würde – keltische rechts des Rheins.

Die Blüte der keltischen Kultur rechts des Rheins vermutet man um das Jahr 500 v. Chr.. In den darauf folgenden Jahrhunderten wird sie sich im heutigen Deutschland gleich von zwei Seiten bedrängt gesehen haben. Von germanischen Stämmen, die aus dem Norden und Osten nach Süden und Westen drängten, sowie schließlich auch von den Römern, die um die Zeitenwende den umgekehrten Weg gingen und von Süden und Westen her in das einst riesige Siedlungsgebiet der Kelten vorstießen, um es militärisch und wirtschaftlich zu kontrollieren.

Zwischen den Mühlsteinen dieser beiden Mächte dürfte sich die Kultur der Kelten aufgerieben haben, begünstigt durch die Tatsache, dass sich ihre Stämme trotz gewisser Gemeinsamkeiten vermutlich kaum als gemeinsames Volk verstanden haben dürften. Einige Kelten werden in diesem Konflikt gekämpft, andere ihr Heil in der Flucht gesucht haben, und wieder andere werden versucht haben, Bündnispartner zu finden oder sich anzupassen. Vermutlich durchlebten etliche Stämme auch alle dieser Phasen. Vor allem die, die sich letztlich mit Römern und Germanen konfrontiert sahen.

Eines der Gebiete, in denen dies der Fall gewesen sein könnte, ist der heute mittelhessische Raum um die Stadt Wetzlar. Hier, auf dem Dünsberg, gab es eine der nördlichsten Bergstädte, die zumindest in engem Kontakt zur ketischen Kultur gestanden haben soll. Sie war stark befestigt – womöglich zum Schutz vor den germanischen Stämmen, die versuchten haben dürften, in das fruchtbare Gebiet der Wetterau vorzustoßen. Wann genau diese Wanderungsbewegung begann, wie groß sie war, wie sie vonstatten ging, wie lange sie andauerte und wie mehr oder weniger erfolgreich sie war, ist weitgehend unklar. Genauso unklar ist, ob die Bergstadt auf dem Dünsberg, da sie kurz vor der Zeitenwende aufgegeben oder erobert wurde, in germanischer, in keltischer oder am Ende gar in der Hand einer Gemeinschaft war, in der sich längst Menschen beider Volksgruppen vermischt hatten. Zumindest gibt es aber einen Hinweis darauf, wie ihre einstigen Bewohner genannt wurden und wohin es sie verschlagen hat. Münzfunde lassen vermuten, dass es sich bei ihnen um die in antiken Quellen erwähnten Ubier handelt, die in jener Zeit von den Römern als Puffer gegen feindliche, germanische Stämme an das linke Rheinufer umgesiedelt wurden und aus deren neuer Siedlung die heutige Stadt Köln erwachsen sollte.

Entvölkert war der Landstrich rund um Wetzlar damit jedoch gewiss nicht. Weitere germanische Sippen dürften die Brachen genutzt haben, genauso wie römische Veteranen. Roms Anspruch auf dieses Gebiet – und die Hoffnung mit ihm Geld verdienen zu können – wurde damals durch den Bau einer großen, befestigten Marktsiedlung unterstrichen. Es könnte weitere gegeben haben, doch bislang wurden nur Überreste dieser einen gefunden. Sie wurde unweit des Dünsberg am Ufer der hier gerade noch schiffbaren Lahn im Bereich der heutigen Gemeinde Waldgirmes errichtet. Ihre Entdeckung stützt die These, dass Rom um die Zeitenwende herum bestrebt war, den Landstrich zwischen Rhein und Elbe zur römischen Provinz zu erheben.

Mehrfach galt Germanien in Rom zu jener Zeit bereits als befriedet, das Problem war jedoch: Germanien gab es nur in den Köpfen und auf den Karten der Römer. Ebenso wie die keltischen Stämme dürften auch die germanischen kein gemeinsames, völkisches Bewusstsein gehabt haben. Es gab ungezählte Stämme, die alle ihr eigenes Süppchen kochten und sich nicht selten spinnefeind waren. Erst im Angesicht Roms sollte sich dies allmählich ändern. Der Hass auf die römischen Besatzer schweißte vormals zerstrittene Stämme wiederholt zusammen. Das bekannteste – aber durchaus nicht einzige – dieser Zweckbündnisse bildete sich im Jahre 9 n. Chr..

In der sich über Tage hinziehenden, so genannten Varus-Schlacht verlor Rom auf einen Schlag den Großteil seiner Streitkräfte am Rhein. Es ist verlockend, diesen Sieg der germanischen Stämme rückblickend als Geburtsstunde des Deutschen Volkes zu sehen, aber eigentlich spricht wenig dafür, dass er zu seiner Zeit tatsächlich identitätsstiftend wirkte. Das Bündnis der Germanen war nur von kurzer Dauer. Arminius, der die letztlich durch Glück und Geschick siegreichen Stämme in der Varus-Schlacht angeführt hatte, konnte es nicht verhindern, dass schon bald nach der Schlacht wieder die alten Streitigkeiten ausbrachen.

Rom dürfte es dabei vermutlich am meisten bedauert haben, dass ihm auch weiterhin ein klarer Gegner oder Verhandlungspartner fehlte. So hart der Verlust dreier Legionen auch gewesen sein mag, entscheidend für den römischen Rückzug hinter den Rhein kann er eigentlich nicht gewesen sein. Die Legionen waren mit neu ausgehobenen Soldaten schnell wieder aufgefüllt und zahlreiche siegreiche Feldzüge ins Land der Germanen sind auch für die ersten Jahre nach der Varus-Schlacht belegt, ja, selbst noch für die beiden folgenden Jahrhunderte. Rom sah vermutlich einfach ein, dass der Aufwand, das zerstrittene Germanien zu beherrschen, in keinem sinnvollen Verhältnis zu den wirtschaftlichen Erträgen stand, die man hoffen durfte, hier irgendwann erzielen zu können.

Wenn dies so war, wofür Vieles spricht, war der Rückzug der Römer aus Germanien keine militärische Kapitulation, sondern erfolgte vor dem Hintergrund einer nüchternen Kosten-Nutzen-Bilanz.

Auch die römische Siedlung an der Lahn wurde nach der Varus-Schlacht aufgegeben – womöglich sogar recht bald. In eben jener Zeit und jenem Landstrich spielt meine frei erfundene Geschichte. Vor dem Hintergrund der unklaren historischen Lage wird sie nicht frei sein von der einen oder anderen unbeabsichtigten historischen Fehlinterpretation.

All jenen, die mitgeholfen haben, ihre Zahl gering und den Text (wie auch seine Hörspielfassung) verständlich und unterhaltsam zu halten, gilt mein herzlicher Dank.

 

Steffen Ziegler, im März 2018